Natur- und Wildnispädagogik

Das Hauptanliegen der Natur- und Wildnispädagogik ist es, den Menschen von heute wieder einen unmittelbaren Bezug zur Natur zu eröffnen und eine achtsame Verbundenheit zwischen Mensch und Natur sowie Mensch und Mensch zu fördern. Eine tiefe Naturverbundenheit stärkt die innere Gelassenheit und Eigenverantwortlichkeit und hilft unsere Potentiale als Mensch zu erkennen und in die Gemeinschaft zu tragen. Ebenso wird ein Begreifen der ökologischen Zusammenhänge und ein nachhaltiger Lebensstil gefördert. Denn wer tief mit Natur verbunden ist, versucht auch mit ihr im Einklang zu leben.

Methodisch orientiert sich die Wildnispädagogik an naturverbunden lebenden Kulturen, die ihr immenses Wissen über ihre Mitwelt und die für das Überleben notwendigen Fertigkeiten über Generationen hinweg verfeinern und weiter reichen. Ein 10-jähriges Kind, das so aufgewachsen ist, hat bereits ausreichende Fertigkeiten und weiß genug um alleine selbstständig mehrere Tage in seiner Umwelt überleben zu können. Diese für ’zivilisiert’ aufgewachsene Menschen unvorstellbare Leistung gibt Grund anzunehmen, dass die Lehrmethoden dieser Kulturen keineswegs ‚primitiv’ sondern sehr nachhaltig und effizient sind.

Coyote Mentoring:
Das Coyote Mentoring ist die grundlegende Lehrmethode der Natur- und Wildnispädagogik. Sie beruht nicht auf direkter Wissensvermittlung durch den Lehrenden, sondern auf der Motivation des Lernenden, sich das nötige Wissen selber zu erarbeiten.

Ähnlich wie der Fuchs in Europa bewegt sich der Coyote in Nordamerika ungesehen zwischen den Grenzen verschiedenster Landschaften. Ob Wüste oder Waldland, Kulturraum oder unberührte Natur: Dem Coyoten gelingt es, überall zu Leben. Er setzt dazu seine Intelligenz trickreich ein, bedient sich aller Ressourcen und macht sich schon mal selbst zum Narren, wenn ihm das weiterhilft. Deshalb wurde er in vielen nordamerikanischen Kulturen als wichtiger Lehrer angesehen.

Der Natur mit all ihren Erscheinungsformen wird beim Coyote Mentoring eine aktive Rolle bei der Gestaltung der Aktivitäten eingeräumt. Das Wetter, dass bei einer Wanderung plötzlich umschlägt, führt dazu sich mit Wolkenformationen und Meteorologie zu beschäftigen, Pflanzen regen dazu an, sich die Bodenbeschaffenheit genauer anzusehen, Tiere tauchen auf oder hinterlassen Spuren, das Feuer, auf dem das Essen gekocht werden soll, will partout nicht brennen. Alle diese Begebenheiten werden als Ressourcen angesehen, die als Lernsituationen genutzt werden können, wenn sie dazu beitragen, Interesse und Neugier bei den Lernenden zu wecken. Denn Coyote Mentoring bedeutet auch, sich stark an den Lernenden zu orientieren. Dazu wird sehr genau beobachtet, wie der Lernende auf Erlebnisse in der Natur reagiert, was ihn interessiert, was seine Aufmerksamkeit erregt hat, was ihn begeistert, was er wahrgenommen hat und was nicht, um ihn mit gezielten Fragen und Aufgaben tiefer in ein Verständnis zu führen.

Die Fragen haben dabei nicht nur die Funktion, das Wissen zu vertiefen. Mit leicht zu beantwortenden Fragen wird das Vertrauen des Lernenden in das eigene Wissen gestärkt, die Grenzen dieses Wissens werden mit Anregungen zu eigenen Beobachtungen und schwierigeren Fragestellungen erweitert – der Lernende erarbeitet sich weiteres Wissen selbstständig. Gelingt es, seine Neugier zu wecken, lernt er nicht nur Antworten auf seine aktuelle Frage, sondern auch, wie er Antworten auf weitere Fragen selbst finden kann. Und noch besser: wie er immer neue Fragen finden kann, die seine Neugier anfeuern. Hin und wieder tauchen auch Fragen auf, die den Lehrenden an die Grenzen seines Wissens bringen und darüber hinaus tragen. Eine gute Gelegenheit sich neugierig in die Rolle des Lernenden zu begeben und seine Wissensgrenzen zu erweitern.

„Jahrelang habe ich geglaubt, mein Mentor sei ein kompletter Idiot. Wenn wir im Wald auf eine Rehfährte stießen, rief er laut: ’Wow, eine Wolfsspur!!’ Wenn ich dann sagte: ’Nein, ich denke eher, das ist von einem Reh’, so fragte er mich nach den Merkmalen von Rehspuren und wodurch sie sich von Wolfsspuren unterscheiden. Dadurch lernte ich viel über die Spuren beider Tiere, und noch wichtiger, ich bekam das Gefühl, viel zu wissen“

Anfänge der Natur- und Wildnispädagogik
Die Art des Lehrens in der Natur- und Wildnispädagogik wurde maßgeblich von Tom Brown Jr. und Jon Young aus den USA geprägt.

Tom Brown Jr. lernte mit 7 Jahren Stalking Wolf kennen, der ihn 10 Jahre lang die uralten Survival Techniken und die Philosophie eines erdverbundenen Lebens mit der Lehrmethode des Coyote mentoring lehrte. www.trackerschool.com

Stalking Wolf kam in einer Apachenfamilie zur Welt und wurde bis zu seinem 20. Lebensjahr in der ursprünglichen Lebensweise seines Volkes groß ohne jeden Kontakt zur zivilisierten Welt. Er erlernte alle Techniken die für ein Leben in und mit der Natur wichtig waren. So lebte er viele Jahre auf Wanderschaft und besuchte die unterschiedlichsten Kulturen auf dem amerikanischen Kontinent. Sein Ziel war es, nach grundlegenden Gemeinsamkeiten in dem Wissen der Völker zu suchen. Großvater war 83 Jahre alt als ihm Tom Brown jr. begegnete und sein Schüler wurde.

Jon Young wurde im Alter von 10 Jahren Schüler von Tom Brown jr. und 8 Jahre lang genauso ausgebildet wie dieser von Stalking Wolf. Er entwickelte u.a. das Kamana Naturalist Trainingsprogramm in dem er die uralten, ursprünglichen Lehrmethoden nativer Kulturen mit den Werkzeugen der naturwissenschaftlichen Feldforschung verbunden hat. http://jonyoung.org/ http://www.wildernessawareness.org

Die Gründer der ersten Natur- und Wildnisschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben alle bei Tom Brown jr. und/oder Jon Young in den USA für viele Jahre gelernt. Sie haben das Wildnisschulen Netzwerk Deutschland ins Leben gerufen. www.wildnisschulen.org

verfasst in 2014 von: Suse Hick + Björg Dewert + Claudia Große-Johannböcke